Donnerstag, 9. Mai 2013

Kurswechsel in Europa

In Brüssel hat sich der Wind gedreht - Drastisches Sparen ist seit letzter Woche nicht mehr angesagt. Am Freitag, den 3. Mai gab die Kommission,  Hüterin der EU-Verträge, Frankreich zwei Jahre auf Bewährung, um seinen Staatshaushalt den Defizitkriterien der gemeinsamen Währung anzupassen. Es steht damit nicht allein da: Unter anderem Spanien und den Niederlanden wurde ebenfalls Aufschub gewährt. Ein Erfolg für die Gegner der rigorosen Sparpolitik: "Den Thesen Frankreichs wurde Gehör geschenkt", so Pierre Moscovici, französischer Wirtschaftsminister. "Zwischen Verminderung des Haushaltsdefizits und Ankurbelung des Wirtschaftswachstums gewinnt letzteres die Oberhand, und das ist fundamental." 


Rigueur mesurée et soutenable? (Angemessene und erträgliche Budgetdisziplin?)

Grund für diese Umorientierung ist die mehr als triste Prognose für den Euroraum, die ein negatives Wirtschaftswachstum von -0.4% für das Jahr 2013 vorsieht; 2014 soll es kaum besser sein. Seitens der politischen Entscheidungsträger fürchtet man eine Revolte an den Urnen gegen die Sparpolitik, die extrem rechten und linken Kräften Stimmen zutragen könnte.  Zudem dräut eine Generalabstrafung Europas anlässlich der Europaparlamentswahlen 2014, bei der die Nicht-Wahlbeteiligung historisch rekordverdächtige Ausmasse annehmen dürfte.

Nicht nur der Internationale Währungsfond und die US-Regierung drängen seit einiger Zeit auf Politiken, die die Binnennachfrage stärken sollen. Auch intellektuell bekam die Antiausteritätsfraktion im April Unterstützung: Ein vielzitiertes Papier der Wirtschaftswissenschaftler Reinhart und Rogoff, die in einer Langzeitländerstudie ein radikales Abfallen des Wirtschaftswachstum ab einer Staatsschuldenquote von 90% des BIP festgestellt hatten, geriet wegen Berechnungsfehler und selektiver Datenauswahl in die Kritik. Da hilft es den „Austeritätsmaskottchen“ (so Paul Krugman auf seinem  NY Times blog) wenig, dass ihr Hauptergebnis, ein nachweisliches Einhergehen von vermindertem Wirtschaftswachstum bei steigenden, hohen Staatsschulden weiterhin Hand und Fuss hat (hier,, Seite 36).

In Berlin spielte man die Kursänderung in Brüssel herunter. Der Regierungssprecher Steffen Seibert kommentierte knapp, dass es der Stabilitäts- und Wachstumspakt im Prinzip erlaube, Ländern mehr Zeit zu geben, um ihr Defizit unter 3% zu bringen, vorausgesetzt, sie würden hierfür glaubhafte Anstrengungen unternehmen.

Noch scheint Bercy, der Sitz des Wirtschafts- und Finanzministeriums an der Seine, auch die Zitadelle genannt, an den vereinbarten Zielen des Abbaus des strukturellen Defizits* festzuhalten. Doch genau betrachtet, ist selbst unter der Hypothese einer verbesserten Konjunktur eine glaubwürdige Haushaltskonsolidierung und ein wirklicher Schuldenabbau rein rechnerisch nicht möglich. Erhöhung des Mindestlohns, Renteneintrittsalter von 60 Jahren, 60 000 neue Stellen im Erziehungs- und Bildungssystem, ein Ende der Politik, nur jeweils einen von zwei aus dem Dienst ausscheidenden Beamten zu ersetzen  - zwischen 2012 und 2013 haben sich die französischen Staatsausgaben um 20 Milliarden erhöht, was immerhin einem Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Die Möglichkeiten, statt über Einschnitte über Steuererhöhungen mehr Geld in die Staatskasse zu bekommen, sind weitgehend ausgeschöpft. Schon jetzt wirkt die Steuerlast (46,5% des Bruttoinlandsprodukts) hemmend auf das Wirtschaftswachstum. Auf Dauer sind nur wirkliche Reformen und eine Drosselung der Staatsausgaben ein Ausweg.


Dette publique? On ne paie pas! (Staatsschulden? Wir zahlen nicht!)

Im Prinzip hat Frankreich nun Zeit gewonnen, um seine Sozialsysteme umzubauen und seinen Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten. Paradoxerweise sind es oft linke Regierungen, die die Basis für marktwirtschaftlich-orientierte Strukturreformen schaffen (man denke an Mitterrand nach der 1983 ausgeführten 180-Grad-Wende oder an die Regierung Schröder nach 2003). Wird Hollande diese Chance ergreifen?


*denjenigen Teil des Staatsdefizits, der nicht auf konjunkturelle Schwankungen zurückzuführen ist

Donnerstag, 2. Mai 2013

Achsenbruch? Von Johanna Möhring

Das Tandem “Merkollande” startete bekanntlich nicht unter den besten Bedingungen: Francois Hollande hatte Wahlkampf mit dem Versprechen geführt, den mühsam ausgehandelten Stabilitätspakt neu zu verhandeln und der europäischen Sparpolitik ein Ende zu bereiten. Frau Merkel unterstützte im Gegenzug Hollandes Gegner Nicolas Sarkozy nach Kräften. Ein symbolträchtiger Blitzschlag, der das Flugzeug des französischen Präsidenten auf dem Weg nach Berlin zur Umkehr zwang, verzögerte den Antrittsbesuch bei der Kanzlerin. Nun zieht eine regelrechte Schlechtwetterfront von Westen heran, die das deutsch-französische Verhältnis dauerhaft trüben könnte. 

Nach Sparpolitik-bedingtem (Dauer-)Donnergrollen im Regierungsbündnis meldete sich am 25. April der Präsident der Nationalversammlung, der Sozialist Claude Bartolone mit der Forderung nach einer Bündelung des linken Flügels und einer zweiten Hälfte der Amtszeit Hollandes verstärkt im Zeichen der Sozialpolitik. Zudem erwarte er, dass Frankreich als Anführer der Euroländer, die den aktuellen ausschliesslichen Austeritätskurs ablehnten, mit Deutschland auf Konfrontation gehen sollte. Ein nicht ungefährliches Spiel. 
Alles neu macht der Mai... Aktueller Aufruf zur Demo gegen Finanzwelt
und Austerität auf Pariser Wänden

Ob Herr Bartolone seine schlecht verheimlichten Ambitionen auf den Premierministerposten verwirklichen kann, bleibt zu sehen. Fest steht jedoch, dass seine Attacken gegen Deutschland den Zeichen der Zeit, nicht nur in Frankreich, sondern auch in der sogenannten Europeripherie entsprechen. Am 26. April meldeten sich die Sozialisten mit einem Positionspapier für den im Juni geplanten Europa-Konvent der Partei, das Angela Merkel persönlich angreift. Das Papier beschwört die Horrorvision einer EU, in der außen der Freihandel und innen blinde Sparpolitik wütet, eines Europas, welches auf dem Altar einer unheiligen Allianz zwischen einem thatcheristischen England und einem unnachgiebig egoistischen Deutschland geopfert wird. Frankreich stände unter den großen europäischen Ländern allein mit einer wahrhaft europäisch gesinnten Regierung.

Zwar wurden die Bemerkungen ad hominem letztendlich herausgenommen. Jean Ayrault, der glücklose germanophile Premierminister tweetete auf deutsch im Dienste der deutsch-französischen Freundschaft, der Elysee-Palast wiegelte ab. Doch der Schaden ist da. Die deutsche Reaktion fiel seltsam gelassen, fast schon gleichgültig aus, woraus man wohl schließen kann, wie viel Berlin von den Franzosen aktuell erwartet.
Europäische Bestattungen - Wird die deutsch-französische Freundschaft zu Grabe getragen? 
Die wirtschaftliche Schwäche Frankreichs, der aktuelle Fokus der Europäischen Union auf rein ökonomische Themen, der außen- und sicherheitspolitische Fragen, wichtig nicht nur für Frankreich, sondern auch für die EU, vernachlässigen, der Unwillen Deutschlands, für die gemeinsam von 27 Regierungen getroffenen Entscheidungen angefeindet zu werden, ohne auf Rückendeckung von Frankreich hoffen zu können. Kann man unter solchen Bedingungen noch von einem deutsch-französischen Motor für Europa sprechen?