Im Westen nichts Neues. Trotz des Debakels
der Kantonalwahlen diesen März – 26
ehemals sozialistische “Départements” fielen an die Rechte, der “Front
National” konnte seine Territorialstrategie weiter ausbauen* – ist in
Frankreich links kein Kurswechsel in Sicht.
Im Juni steht der sozialistische Parteikongress in Poitiers
an, der die Weichen für die Präsidentschaftswahlen 2017 stellen soll. Und eine
breite Mehrheit der sozialistischen Partei wünscht sich nichts mehr, als
unangenehme Themen unter den Teppich zu kehren.
Nach nur knapp zwei Jahren ist also die Zeit der unter den
Sozialisten begonnenen Reformen offiziell vorbei. Die Zeichen stehen nun ganz
auf Neuformierung der “majorité plurielle”, dem Sammeln linker Kräfte,
was sich vor Präsidentschaftswahlen turnusmäßig abspielt – und meist den
gesunden Menschenverstand strapaziert.
Debakel – UMP hält 66 “Départements” von 101, Wahlbeteiligung unter 50 Prozent
(Graphik TV5)
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Die wenig mobilisierenden “Départementales” – Wahlen
eines Binoms Mann-Frau, genaue Zuständigkeiten mangels rechtlicher Grundlage
zum Wahlzeitpunkt unbekannt – mögen kein überzeugender Indikator für die
politische Gemengelage der französischen Nation sein. Sie fügen sich aber in
einen beunruhigenden Trend ein, der seit Jahren anhält und an dem auch die „Marche
Républicaine“ des 11. Januar nicht viel ändern konnte: Während sich die Mehrheit der Franzosen
gelangweilt von der Politik abwendet, sagt eine stetig wachsende Minderheit den
etablierten Parteien den Kampf an. Diese 'Sans-culottes' der Postmoderne
sehen sich als Opfer ökonomischen Wettbewerbs, sie verurteilen die schon seit
Jahrzehnten andauernde Lähmung des politischen Systems, sie prangern eine
angenommene moralische und kulturelle Beliebigkeit an.
Marine-Jeanne soll es richten
„Das Volk zuerst“ (Photo vom 01.05.2013, Le Figaro)
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Nicht wenige EU-Bürger haben ein ambivalentes Verhältnis zur
Globalisierung und ihrem europäischen Ableger, dessen Herzstück der gemeinsame
Binnenmarkt ist. Was nicht weiter verwunderlich ist, Dani Rodriks
„Trilemma“, nach dem sich Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung partout
nicht unter einen Hut bringen lassen, lässt grüßen.
In Frankreich ist die Situation besonders vertrackt. Denn
laut Laurent Cohen-Tanugi, der in seinem gerade veröffentlichen Buch „What's wrong with
France?“ Frankreich dazu aufruft, sich von Kopf bis Fuß neu zu
erfinden, greift die Globalisierung die eigentliche Identität Frankreichs an.
Sie untergräbt den Sockel französischer Exzellenz: Zentralität eines starken
Staates mit intellektueller und kultureller Strahlkraft, und einer homogenen
Gesellschaft, die auf dessen demokratische Institutionen vertraut.
Offenbar so
einiges
Wettbewerb wird in Frankreich, egal, ob rechts oder links,
meist nicht als Chance, sondern als Gefahr für nationale Besonderheiten gesehen.
Es gilt, sich zu erinnern: das europäische Projekt selbst war immer ein
Kompromiss diametral entgegengesetzter Anliegen, zwischen dem
protektionistischen Instinkt der Franzosen (Stichwort gemeinsame Agrarpolitik)
und dem Streben der Deutschen nach einem Export-Markt.
Wie reagieren traditionelle politische Akteure auf den
Diskurs der Globalisierungsverlierer? Mit Worten statt Taten. Links wie rechts
liebäugelt man in ganz Europa mit populistischen Argumenten, um beim Wähler
Anklang zu finden. Oder man schwingt zu Abschreckungszwecken gerne auch mal die
Totalitarismus-Keule. Unklar ist jedoch für alle politischen Großfamilien, ob
sie die stetig zunehmende Zahl potentieller Protestwähler überhaupt noch
erreichen können.
Denn populistische Kräfte argumentieren und agieren nicht
nur längst außerhalb des klassischen politischen Ideenwettbewerbs. Sie stehen
zudem stolz zu ihrer Ablehnung von “realitätsbasierter Politik”. Fakten? Sind
relativ. Medien? Gekauft. Demokratische Institutionen? Alle korrumpiert.
Außerhalb der Konventionen unseres demokratischen Lebens bleibt jedoch nichts
als Emotion. Auf diese Herausforderung müssen nicht nur etablierte Parteien
eine Antwort finden.
* Zwar konnte der „Front National“ aufgrund des
geltenden Mehrheitswahlrechts kein „Département“ erringen. Doch gelang
es ihm, die Zahl ihrer Repräsentanten in den „conseils généraux“ (gewählte
Versammlung auf Departementsebene) zu versechzigfachen. Damit scheint die
Strategie von Marine Le Pen, ihre Partei lokal zu verankern, um sich so eine
langfristige Machtbasis zu schaffen, aufzugehen: Die Wähler der 11 Kommunen, in
denen der FN seit März 2014 einen Bürgermeister stellen, mobilisierten sich
anlässlich der „Départementales“ stark für den „Front National“.
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